Zum besseren Verständnis des Karate, das wie alle fernöstlichen Kampfsportarten, nicht einfach eine sportliche Erfindung ist, sondern ganz spezifische, historische und philosophische Hintergründe als Entstehungszusammenhang hat, möchte man hier einen kurzen Einblick jap. Geschichte und Religion, sowie deren Beziehung zu den Kampfsportarten geben.
Die fernöstlichen Kampfsportarten sind natürlich ursprünglich in keiner Weise Leistungssport, oder Sportarten in unserem westlichen Sinn, sondern ein möglicher Weg zur Selbstfindung; nicht also Optimierung der Kampffähigkeit, sondern Entwicklung der Persönlichkeit ist primäres Ziel.
So gibt es in den asiatischen Kampfkünsten Formen des Verhaltens und Übens, die aus westlichen Kampfsportarten (Boxen, Ringen) unbekannt sind:
- strenge hirarchische Ordnung
- stark formalistische Etikette
- Kihon, Kata
Entwicklung des Karate und die Beeinflussung durch Taoismus und Buddhismus
Die Erforschung der Geschichte des Karate ist auf Grund fehlender Dokumente sehr schwierig. Die Ursprünge gehen zurück bis ins 6. Jahrhundert nach Christus, als der buddistische Mönch Bodhidharma ( jap. Daruma, chin. Ta Mo) eine gefährliche Reise von Indien zu den Shaolin-Tempel im südlichen Zentralchina unternahm, um die Lehren des ZEN-Buddismus zu verbreiten. Um seine Anhänger im Hinblick auf die strengen Anforderungen der Meditation stark und wiederstandsfähig zu machen, schrieb er gymnastische Übungen vor. Dieses System von gymnastischen Übungen entwickelte sich zum Shaolin-Kempo, dem chinesischen Boxen. Das japanische Karate, so wie wir es heute kennen, ist erst in diesem Jahrhundert nach Japan gekommen. In den vorherigen Jahrhunderten fand die Entwicklung auf Okinava statt. Die Schriftzeichen Tang und Hand, gelesen Tang-Hand oder China-Hand verweisen deutlich auf den Ursprung des Karate. China ist der Urgroßvater des modernen Karate und auch aller anderen in ganz Südostasien verbreiteten ähnlichen Kampfsportarten. Es ergab sich die Entwicklung vieler Stilarten. Dabei gibt es die Unterteilung in innere und äußere, bzw. weiche und harte Stilarten. Man untersheidet etwa 50 verschiedene Stilarten so z.B.: Yee Chuen, Pa Kun Chang, Tai Chi Chuen, Shaolin Kempo (Karate), Wing tsun, Wuschu, Wu Dang.
Den größten Einfluß auf Karate hat Tai-Chi-Chuen (jap. Taikyoko-Ken). GichinFunakoshi (von 1869-1957), Mitbegründer des modernen Karate, gab den vom Ihm entwickelten Einführungskatas den Namen "Tai kyoko".
Tai-Chi (Rhytmische Heilgymnastik / Paradoxe Angriffsbewegungen / Suche nach inneren und äußeren Gleichgewicht)
Das Symbol, zwei in einen Kreis gebettete ineinander verschlungene Tropfen, die die beiden Urkräfte Yin und Yang darstellen. Seit dem 9. Jahrhundert v. Chistus, als kosmologische Prinzipien verstanden. Alle Wesensheiten werden einem der beiden zugeordnet. Dem Yang entspricht das Männliche, der Himmel, die Stärke, dem Yin das Weibliche, die Erde, die Nachgiebigkeit. Die beiden Kreise werden auch als Lichtes und Dunkles bezeichnet, als positives und negatives. Polarisierende Urkräfte, geometrische Anordnung, so das diese Kräfte nicht mehr zum Stillstand kommen, der Kreislauf des Werden setzt sich dauernd fort. Zusammengefaßt bilden sie das vollendete Ganze. die Schöpfung, was im Kreis zum Ausdruck kommt. Die symetrische Darstellung des "Großen Uranfangs", der einander ergänzenden und bedingenden Urkräfte der Schöpfung, existiert seit der Yang Zeit (11. Jahrhundert). Tai-Chi, die rythmische Bewegungsübung stammt aus der taoistischen Weltanschauung, (chin.) Tao <--> Do( jap.). Ale Krankheiten werden auf den gestörten Gleichgewichtssinn von Yin und Yang zurückgeführt.
Taoismus ist keine gott-orientierte Religion, sondern eher eine praktische Psychologie oder Psychohygiene, ebenso der Buddismus.
Buddismus Sinn und Ziel des Buddismus ist die Erleuchtung (Satori), die man nur durch Studium, Gebet, heiliges Leben und mehrere Wiedergeburten erfahren kann.
ZEN-Buddismus lehrte Möglichkeiten plötzlicher Erleuchtung als Ergebnis intensievster körperlicher und geistiger Konzentration. Dabei sollte das Gehirn nicht logisch denken, sondern soll sich auf besondere, bewußt absurde Probleme konzentrieren. Der Aristokrat Dogan (1200-1253) paßte den ZEN-Buddismus den Samurai an. Er wies viele Parallelen zur Lebensweise der Samurai auf und prägte stark die Philosophie der Kampfkünste. So entsprach die geforderte Disziplin des ZEN-Buddismus der strengen geistigen und körperlichen Lebenshaltung des Samurai ebenso wie das Gesetz des unbedingten Gehorsams, "Buschido".
Mit der Einführung des ZEN-Buddismus um 1200 gelangte auch eine Art der Selbstverteidigung, die das Shaolin-Kempo gewesen sein könnte, nach Japan. Durch ständige Handelsverbindungen zwischen Okinawa und dem chin. Festland. gelangten verschiedene Faustkampfsysteme nach Okinawa. Großen Einfluß auf die Kampfkünste von Okinawa hatte Tai-Chi. Aus den versch. Stilen wurde dann ein eigener entwickelt, welcher Okinawa-Te hieß. Dies ist nun der direkte Vorläufer des Karate. Dieses Okinawa-Te war für die Einwohner der Insel lebensnotwendig, da unter dem Herrscher Iheo-Hashi (1400) jeder Waffenbesitz verboten wurde, und die Bevölkerung gegen jap. Piraten ein Selbstschutzsystem entwickeln mußte. Von Okinawa, wo dieses Kampfsystem 1876 als pädagogisches Konzept in den Schulen eingeführt wurde, gelangte es dann Anfang des 20. Jhd. nach Japan und etablierte sich im jap. Erziehungssystem.
Die Entwicklung des modernen Karate wurde durch eine Veranstaltung 1922 in Tokyo wesentlich unterstützt. Dort stellte Gichin Funakoshi seine Kampfkunst vor. Jigoro Kano, der gründer des Judo, gab den Anstoß zu dieser Idee, die durch das jap. Kulturministerium gefördert wurde. Funakosahi wollte nun Karate der breiten Masse zugänglich machen. Dazu war es notwendig, von den harten Nahkampftechniken Abstand zu nehmen und Übungsformen zu finden, die das gesundheitliche Risiko einschränkten und trotzdem ein Üben mit Partner ermöglichten. Diese Übungsformen sind bis heute beibehalten und danach wird jedes Training aufgebaut und durchgeführt.
Was heißt Karate-Do im heutigen Sinne
Kara-Leer
1906 verwendete der karatemeister Chamo Hanage zum ersten Mal das andere Zeichen für "Kara", welches "leer" gelesen wird. Den Gebrauch der neuen Schreibweise gibt es erst seit den 30er Jahren. Die geistige Bedeutung des Kara --> leer hat man so beschrieben: " So wie nur ein klarer Spiegel alles ohne Verzerrung wiedergibt,oder so wie ein stilles Tal selbst den schwächsten Laut weiterträgt, soll der Karateschüler sein Inneres leermachen von Selbstsucht und Beschäftigkeit, um in allem, was ihm begegnen könnte, angemessen zu handeln."
Do-der Weg
Das Sinnbild "Do" enthält zwei Zeichen: Kopf und Gehen. Es stammt aus der Lehre vom Tao (chin. Weg) und meint, daß das Wesentliche des Menschseins vom Kopf und vom Gehen ausgeht. Gehen, Bewegung der Beine, ist so entscheidend wie die Tätigkeit des Kopfes, das Denken. Es bedeutet, der Kopf soll sich konzentrieren auf das Gehen, dadurch wachsen dem Menschen Kräfte. "Do" steht als höchstes Prinzip für Tao. Durch dieses Do lebt und atmet alles.
Die Bedeutung des Hara (den Bauch)
Chin. Sprichwort: "Bevor Du lernen kannst Deinen Gegner zu besiegen, mußt Du erst lernen richtig zu stehen."
Entscheidend für einen guten Stand ist die untere Körperhälfte. Nur eine starke und feste Basis erlaubt schnelle, kraftvolle, genaue und geschmeidige Techniken. Oberkörperhälfte fest--> gerade, senkrecht gehaltene Wirbelsäule, Übung des Hara (Beckenbereich). Ob Karate, Schwertfechten, Malen oder nur Sitzen, immer hängt der Fortschritt auf dem Wege der Übung davon ab, daß der Übende die rechte Haltung gewinnt, die bedeutet, daß er in seine rechte Mitte kommt. In jap. Texten gibt es keine ausdrückliche Rede von der Mitte, das sie Vorraussetzung für alles andere ist, ist selbstverständlich. Und doch bildet das Gewinnen der rechten Mitte den Kern, wenn es richtig verstanden wird, den Sinn aller praktischen Übungen.
Die technische Bedeutung des Hara
Das Gleichgewicht ist die Vorraussetzung für die Karatetechniken. Wer sein Gleichgewicht verliert ist schwach, hat keine wirkungsvolle Abwehr und Angriff.
* Angriff ---> dynamisches Gleichgewicht
* Abwehr ---> statisches Gleichgewicht
Um das Gleichgewicht zu wahren muß man sich auf das Körperzentrum, auf den Schwerpunkt, den Hara konzentrieren. Durch die Stellung, verbunden mit einer Technik, wird die Kraft aus dem Hara auf einen Punkt konzentriert. Damit man nicht aus dem Gleichgewicht kommt, um alle Aktionen kraftvoll und sicher aus unserem Körperzentrum starten zu können, muß man sich aufrecht halten, so daß in jeder Stellung und bei jeder Aktion der Nabel immer leicht nach oben zeigt --> Zwerchfellatmung. "Wer sein Gleichgewicht verliert kann keine Technik anbringen und ist schon halb besiegt."
Grundsätzlich gilt für jede totale Bewegung: "Hüfte zuerst - Glieder hinterher". Dieser Grundsatz gilt für jede Technik, trete mit den Hüften, stoße mit den Hüften, wehre mit den Hüften ab. Diese Mitte drückt sich in einer Haltung aus, die den Unterbauch (Tanden) betont. Nur aus dieser gefestigten Mitte heraus gibt es dieses gelassene, meisterhafte Handeln, daß sich im vollendeten Wirken, Gestalten, Kämpfen bewährt. Dieser Hara ist gleichsam ein Verbindungsstück zwischen den überweltlichen Sein und dem geschichtlichen Dasein, zwischen Erlebnis der ursprünglichen Einheit und ihrer kraftvollen Bewegung in der Welt. Darum bildet die Ausbildung, Festigung und Bewährung des Hara den Kern bei allen ZEN-Übungen (ZEN-Buddismus).
Die Karatetechnik
Karate ist in erster Linie eine Körperkunst, bei der vollendete Körperbeherrschung antrainiert wird. Zu den Techniken des Schlagens, Stoßens und Tretens kommen noch die geschmeidigen und kraftvollen Bewegungen dazu. Jede Karatetechnik wird nur aus einer bestimmten Körperhaltung heraus, die nicht einfach zu erlernen ist, voll wirksam. Optisch bedeutet Karatetechnik: katzenhafte Ganzkörperbewegung mit schnellkraftmäßigen Einsatz, Meisterschaft der Spannung und Entspannung.
Alle Techniken können nur aus einer entspannten Haltung heraus blitzschnell starten. Reflexartige Reaktionen sind nur aus einer geistig entspannten, d.h. auf "NICHTS" gezogene Haltung heraus möglich.
Bedeutung der Schnelligkeit einer Karate-Technik
Karate ist die Schnelligkeit der Bewegungsenergie, die im Moment des Aufpralls in Deformationsenergie umgewandelt wird. Freiwerdende Energie hängt in erster Linie von der Geschwindigkeit der Technik ab. Beim Auftreffen der Technik (actio=reactio), wird normalerweise die Bewegungsenergie infolge des Rückstoßes im eigenen Körper verarbeitet. Um nun zu erreichen, daß sich die Umwandlung der Energie in Deformationsenergie möglichst nur im Ziel auswirkt und nicht im eigenen Körper, muß folgendes beachtet werden:
Im Moment des Auftreffens unserer Technik muß unser Körper "felsenhart" seit. Das bedeutet, das in diesem kurzen Moment alle Muskeln voll angespannt sind. Dadurch, und durch die gerichtete Spannung, verbunden mit der besonderen Karatestellung, erreichen wir, daß der in jeden Fall auftretende Rückstoß nicht nur NICHT in unserem Körper verarbeitet wird, sondern vom Boden durch unseren Körper reflektiert wird.
Kime ist das momentane Anspanne aller Muskeln, wodurch wir das als "Einrasten" bezeichnete, urplötzliche Abstoppen der auftreffenden Körperteile im Ziel erreichen. Die schockartige Umwandlung von höchster Geschwindigkeit in Deformationsenergie im Zielpunkt ist charakteristisches Merkmal aller Karatetechniken.
Etikette- Zeremoniell im Karateunterricht
Die Dojo-Etikette geht auf das Ogasawararyu im Japan des 13. und 14. Jhd. zurück. Dies waren Verhaltensregeln der Samurai, die ein reibungsloses Miteinander erlauben sollten. So konnten Samurai z.B. bei Begegnungen auf der Straße links aneinander vorbeigehen, im Palast mußten sie einander die rechte Seite dabei zuwenden, weil so weniger leicht das Schwert zu ziehen war. Oder sie mußten nach dem verbeugen mit dem linken Fuß zuerst zurückgehen. Solche Vorschriften haben sich bis bis heute im Karate erhalten. Der Einfluß des Buddismus auf die Verhaltensregeln der Samurai dokumentiert sich noch heute im Karate durch einfach Regeln, Unkompliziertheitund das besondere Lehrer-Schüler-Verhältnis, das eine bedingungslose Unterordnung des Schülers (Kohey) unter den Meister (Sensei) verlangt. Im heutigen Sinne hat die Dojo-Etikette die Funktion von Organisationsprinzipien, um die Konzentration zu fördern und um über den Respekt vor dem Partner oder Gegner Aggressionen zu dämpfen oder zu lenken.
Verhalten im Training und Anzugsordnung
Durch das Begrüßungszerimoniell erfolgt die Herstellung einer bestimmten inneren Einstellung zum Training. Störende Gedanken, Unkonzentriertheit, Unbeherrschtheit usw. sollen vom Dojo ferngehalten werden. Gestärkt sollen werden: Konzentration, Selbstbeherrschung, Gemeinschaftsgefühl.
Für den, der sich mit solchen inhalten identifiziert und für den dies nicht nur eine spezifische Verhaltensform darstellt, ist Karate mehr als Sport. Vor diesem Hintergrund ist der Gewinner nicht immer der Sieger.
Während des Trainings ist es dem Schüler nicht gestattet das Dojo vorzeitig zu verlassen. Bei Konditionsschwierigkeiten setzt sich der Schüler unauffällig an die Seite im Seiza, um über die Ursache seines Versagens und Möglichkeiten seiner Überwindung nachzudenken. Die Anweisungen des Meisters sind in jedem Fall zu akzeptieren. Auch in dieser Regel wird das Prinzip deutlich, sich selbst nicht in den Fordergrund zu stellen, sondern Demut zu üben. Dies setzt ein Lehrer-Schüler-Verhältnis vorraus, bei dem der Leherer die Verpflichtung fühlt, sich unermüdlich und mit großer Geduld um seine Schüler zu bemühen, und der Schüler sich dieser Zuwendung durch fleißiges, konzentriertes Üben würdig zu erweisen versucht. Ein Aufgeben während des Trainings wegen konditioneller Schwächen, ist daher nicht nur subjektiv beschämend für den Karateka selbst, sondern hat auch objektiv die an ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt.
Nur wer sich diesen Verhaltensregeln unterordnen kann, ist in der Lage Karatedo zu lernen.